Samstag, 28. Oktober 2023

Gwada für Fortgeschrittene

Das freut uns natürlich sehr... Dass ihr einen Schritt auf uns zu gemacht habt... Zeitlich meine ich. Mit der Zeitumstellung beträgt der Unterschied nun nur noch fünf Stunden. Ihr seid also somit auch der Karibik etwas näher gerückt. Ausserdem kommt der karibische Winter! Heute Abend auf der Terrasse:

Simone hat es kürzlich geschrieben - Halbzeit. Wenn ich an einen Ort reise, den ich noch nie zuvor besucht habe, mache ich mir meist schon eine Vorstellung über diesen Ort. Ich lese im Reiseführer, höre etwas in den Nachrichten, Personen, die bereits an diesem Ort waren, erzählen Erlebtes, ... Wenn ich dann am neuen Ort ankomme, dann relativieren sich einige Vorstellungen, andere bestätigen sich. Und tatsächlich hat sich das eine oder andere in der Zwischenzeit auch hier relativiert.

Darum möchte ich noch einige Dinge "richtigstellen":

- Da wär zum Beispiel das Gesundheitssystem. Kürzlich hatte ich einen Propf im Ohr. Ich hab einen Arztbesuch hinausgeschoben, weil ich mir die Wartezeiten im Centre medical de l'aéroport (ihr erinnert euch - bei Dengue) ersparen wollte. Meine Liebste hat mir dann aber einen Termin bei einem Arzt keine 10 Autominuten von hier organisiert. Und siehe da, ich konnte am gleichen Tag hin, hab nicht mal 10min gewartet und war nach 20min auch schon wieder draussen. Kostenpunkt 35 Euro. Leider hat sich dann das Trommelfell entzündet. Also wieder Termin beim Arzt, wieder innerhalb weniger Stunden, wieder 10min gewartet, nach 10min hatte ich meine antibiotischen Ohrentropfen. Kostenpunkt erneut 35 Euro. Und nach 7 Tagen war das Trommelfell wie neu. Ich bitte euch, seid mal ehrlich, das ist doch wirklich ein Topservice! Ich hab mich einfach gefragt, warum es Leute gibt, die stundenlang beim centre medical anstehen?! Ich hab noch keine Antwort darauf gefunden.

- Dann ist da noch die Sache mit der Schule. Unbestritten werden hier Disziplin und etwas ältere Lehr/Lernmethoden gross geschrieben. Und zu Beginn hatten wir den Eindruck, das Schüler*innen - Lehrpersonenverhältnis sei sehr unpersönlich. Dennoch gibt es einige Lehrpersonen, die mit unseren Kindern sehr liebe- und verständnisvoll umgehen und ihre Umstände berücksichtigen. Vielen Dank dafür!

- So geduldig sind dann doch nicht alle hier. Wir machten am Freitag im Supermarkt den Wochenendeinkauf. Der Laden war mit Leuten und deren Einkaufswagen mit allerlei Köstlichkeiten gefüllt. Leider waren dann nur drei Kassen geöffnet, was zu einem veritablen Einkaufswagenstau geführt hat (die A1 zwischen Bern und Züri ist ein Seich dagegen). Obwohl viele Einheimischen stoisch warteten, konnte man doch zunehmend Unmut spüren, teilweise wurde auch laut geschimpft. Natürlich mussten wir dann auch noch unseren Wägeliplatz verteidigen. Subtil versuchte ein Wägeli von rechts nach vorne zu drängen. Wir haben aber sauber pariert (wenn du schon drei Kinder hast, kannst du ja auch mal eines in den Weg stellen) und haben unseren Platz verteidigt.

- Apropos Verkehr. Die meisten fahren hier ja sehr zuvorkommend und lassen einen freundlich in die Strasse einbiegen. Dann gibt es aber auch die Schnellen, die hinten am Auto kleben, so dass die Scheinwerfer im Rückspiegel verschwinden. Oder aber dann die Langsamen (so Tempo 50 in der 70er Zone), bei denen man selber hinten an der Stossstange klebt. Und Verkehrsbussen gibt es hier auch. Ich war an einem Tag Ende September zu schnell unterwegs (Simone und ich waren auf dem Weg zum Surfspot - ohne Kinder, limitiertes Zeitfenster - wir hatten es eilig). 56km/h in der 50er Zone. Abzüglich Toleranz ergibt das 1km/h zu schnell. Kostenpunkt 135 Euro plus 50 Euro Bearbeitungsgebühr der Autovermietungsfirma. Ups! Das hätte einige Stunden Surfbrettmiete ergeben. Lerneffekt: Auf Guadeloupe musst du dir auch beim Autofahren Zeit lassen.

Und was ist die Bilanz nach knapp 100 Tagen? Ich denke, wir haben uns wirklich bereits ein wenig in das Inselleben hineinversetzen können, haben viele Gespräche geführt, vieles entdeckt, ausprobiert und gesehen. Ich geniesse natürlich die viele Zeit, welche ich für mich und wir als Familie für einander haben. Das werde ich zuhause wieder sehr vermissen. Der Sommer wird mir fehlen (nicht so sehr die ganz heissen Tage und das gekocht werden vor der Schule beim auf die Kinder warten), die wunderschönen Wolkenbilder, der Regenwald, die schönen Strände und die abwechslungsreiche Landschaft. Dass man auch mal einen Gang runter schalten kann und sich die Welt doch weiterdreht, da können wir uns eine Scheibe von den Gwadis abschneiden. Gar nicht vermissen werde ich das Autofahren und den Verkehr sowie die Mücken.

Natürlich freue ich mich auf all unsere Liebsten. Die Bekannschaften sind halt doch eher oberflächlich geblieben bisher. Ich freu mich auf mehr Platz in unserer schönen Wohnung, Wasser ohne Flaschenschleppen, auf ein Leben ohne Hurrican-Wettermeldungen, die Stadt mit allem was dazu gehört, die Natur vor der Haustür, mein Velo (ach ja, mein Velo!), und noch vieles mehr.

Zu guter Letzt möchte ich mich bei Simone für die Liebeserklärung bedanken (siehe "Halbzeitstruggels"). Natürlich kann ich meist nur so entspannt bleiben, weil ich sie ihm Rücken habe, die so vieles managt hier, organisiert, anruft, nachfragt, sich beschwert. Es ist unglaublich mit welcher Leichtigkeit meine Liebste auf andere Menschen zugeht und sie für sich gewinnen kann. Wie sie im richtigen Moment die Kindererziehung übernimmt, wenn es mir gerade "den Deckel lupft", immer an alles denkt, alles dabei hat. Und natürlich nicht zu vergessen, wie sie uns durch den Strassendschungel von Guadeloupe lotst. Und das mit dem selber Autofahren - hüstel - das steht scheins auf ihrer To Do-Liste 2024. Wir dürfen gespannt sein. 



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